NetzwerkForum Stahl „Zukunft Stahllogistik 2024 – Transformation“
Das NetzwerkForum Stahl von Kompetenznetz Logistik.NRW und Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen e. V. (VVWL) war am 16. April 2024 der Treffpunkt von über 100 Logistik-Entscheidern aus der Stahlindustrie, dem Stahlhandel und der Stahllogistik-Dienstleistungsbranche in Dortmund.
In seiner Begrüßung kritisierte Stefan Windgätter, Mitglied des Gesamtvorstandes / Vorsitzender Fachausschuss Stahltransporte und –Logistik im VVWL NRW e. V. / Geschäftsführender Gesellschafter Windgätter & Sohn GmbH; die praktizierte Transformationspolitik in der Logistik: „Die Politik hat es geschafft, dass aktuell der „Drive“ aus der Transformation bei den meisten von uns raus ist. 2024 und auch wahrscheinlich 2025 ist für unsere Branche ein verlorenes Jahr für die Transformationsbemühungen. Das ist sehr bedauerlich!“ Die Bundespolitik haBE durch realitätsferne, aufoktroyierte und leider sehr oft frustrierende Vorschläge, Zielsetzungen und Beschlüsse vergessen, die Menschen und damit auch die Firmen und Unternehmungen mitzunehmen, so Stefan Windgätter weiter. Mit den gewaltigen Kosten durch den CO2-Mautaufschlag und für den Kauf von z.B. E-Lkw und den überhaupt zu realisierenden (sehr begrenzten) Möglichkeiten z.B. für E-Ladeinfrastruktur (mitunter zudem ein Millionen-Investment), der Unsicherheit über zukünftige Strompreise und der aktuell angespannten Konjunktur habe sich bei vielen Unternehmen eine Gemengelage ergeben. Im Ergebnis können vielfach die gewünschte energetische Transformation nicht geschultert werden. Vor diesem Hintergrund sei die Erreichung der Klimaziele im Straßengüterverkehr bis 2030 auch objektiv sehr vermessen bis unmöglich, so Stefan Windgätter.
In einer ersten Sequenz ging Tobias Aldenhoff, Leiter Wirtschafts- und Handelspolitik der Wirtschaftsvereinigung Stahl e. V. auf die aktuellen politischen Herausforderungen für die Stahlindustrie ein. Der Weltstahlmarkt befinde sich seit der Pandemie in einer strukturellen Wachstumsschwäche. Stabiles Wachstum sei derzeit nur in Indien festzustellen. Auffällig sei auch die insgesamt negative Entwicklung in China. Deutschland habe sich vom Powerhouse zum Bremsklotz in der EU entwickelt. Interessant und in gewisser Weise auch besorgniserregend sei die zunehmende Fokussierung Chinas auf Stahlexporte und die dort weiter steigenden Überkapazitäten (inzwischen entfallen knapp die Hälfte der globalen Rohstahlkapazitäten auf China). China spiele auch eine zentrale Rolle beim Ausbau klimaschädlicher Produktion und setze im Unterschied zu Deutschland weiterhin auf kohlebasierte Erzeugungstechnologien. Die Stahlindustrie in Deutschland habe mit schwierigen Rahmenbedingungen zu kämpfen: Krieg in Europa, schwache Konjunktur, Energiekrise und geopolitische Lage. In den Jahren 2022 und 2023 sei die deutsche Rohstahlproduktion rückläufig gewesen, die Nachfrage („Marktversorgung“) war 2023 mit 28,9 Mio. Tonnen auf einem historischen Tiefststand (minus 14,5 Mio. Tonnen seit dem Höhepunkt 2007). Die Prognosen für 2024 sind verhalten, es wird ein erneuter Rückgang des realen Stahlbedarfs erwartet, leidglich eine „technische Erholung“ sei möglich.
Die Stahlindustrie in Deutschland bewege sich trotz anspruchsvoller Rahmenbedingungen mit großen Schritten in Richtung Klimaneutralität, so Tobias Aldenhoff. Es werde schon jetzt und in den folgenden Jahren massiv investiert. Die Kernforderungen an die Politik lauten dabei: 1. wettbewerbsfähige Strompreise, 2. eine ausreichende Verfügbarkeit von Grünen Strom und Wasserstoff, 3. eine Anschubförderung und Förderprograme, 4. „Leitmärkte“ für grünen Stahl, 5. der Zugang zum hochwertigen Sekundärrohstoff „Schrott“ und 6. die handelspolitische Absicherung, u.a. durch den „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM).
Jaap Jan Aardenburg, Marketing Manager Distribution Mainland Europe Tata Steel Europe, zeigte den Weg des Unternehmens Tata Steel zu Dekarbonsierung und Nachhaltigkeit auf. In Sachen Dekarbonisierung im Stahl seien Deutschland und die EU sicher „mit einer guten Idee“ global in Führung, so Jaap Jan Aardenburg, allerdings habe man zugleich zur Risikovermeidung auf den wichtigen Erhalt der globalen Wettbewerbsfähigkeit zu achten. Daraus resultierten auch handelspolitische Ideen wie das CBAM.
In einem Stahl-Talk diskutierten anschließend unter Moderation von Michael Cordes, Redakteur Deutsche Verkehrs-Zeitung, Tobias Aldenhoff, Stefan Windgätter, Jaap Jan Aardenburg und Peter Guttenberger, Präsident Verband der Baubranche, Umwelt- und Maschinentechnik (VDBUM) e.V. Zwar erkenne man durchaus die bisherige politische Unterstützung für den Stahlsektor an, so Tobias Aldenhoff. Wichtig sei jetzt als weiterer Schritt, in Form eines standardisierten Labels zumindest für die EU klar zu definieren, was „Grüner Stahl“ ist. Bei der Entwicklung dieses Labels leiste Deutschland derzeit Pionierarbeit, es sollte in Zukunft möglichst ein globaler Standard werden. Die Transformation ist auch für die Baubranche, Umwelt- und Maschinentechnik ein wichtiges Thema, so Peter Guttenberger, und schilderte die Ansätze und Maßnahmen in seinem Unternehmen (Geschäftsführer in der Firmengruppe Max Bögel): Eigen-Energieverbrauch durch alternative Energie decken, Inhaltsstoffe im Zement verbessern, Transportoptimierung im Betonbau durch modulare Vorproduktion und möglichst Nutzung der Bahn. Die „Verbändeinitiative GST – Großraum und Schwerlastverkehr“ mit 38 Verbänden aus Industrie und Logistik sei zudem ein wichtiger Ansatz zur Optimierung und Sicherung der gerade für den Standort Deutschland wichtigen GST-Transportströme und zur Schaffung der notwendigen modernen Rahmenbedingungen. Die Initiative sei auch die Folge jahrelanger Anstrengungen insbesondere der Verbände des Verkehrs, zu den überfälligen Verbesserungen der Rahmenbedingungen zu kommen. Mit dem Schulterschluss von Industrie und Logistik sei nun endlich auf Seiten von Politik und Verwaltung etwas in Bewegung gekommen, so der Eindruck von Peter Guttenberger. Zentral seien 1. die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren (von heute 6-8 Wochen auf 1 Woche), 2. die Weiterentwicklung der heutigen „Digitalisierung zu Fuß“ um z.B. die Einführung eines Geoinformationssystems für GST und 3. die Herstellung des „Gleichlaufs“ der beteiligten föderalen Behördenebenen. Stefan Windgätter bezeichnete die Verbändeinitiative als „bahnbrechend“ und ergänzte noch wichtige Forderungen aus dem gemeinsamen Positionspapier wie die Einführung von Fahrzeugclustern, die wieder Mitgenehmigung von Unterschreitungen genehmigter Abmessungen/Gewichte oder einheitliche und kalkulierbare Gebühren.
Dr. Sebastian Bross, Vorsitzender der Geschäftsführung Salzgitter Mannesmann Handels-GmbH, stellte mit seinem Vortrag als „Transformations-Showcase Salzgitter - Zukunft Stahl und Logistik Hand in Hand?“ das Vorgehen der Salzgitter AG bei der Dekarbonisierung der Stahlproduktion vor. Pro Hochofen seien Investitionen von 2,4 Mrd. € bei einer staatlichen Investitionsförderung von ca. 1 Mrd. € vorgesehen. Ziel sei eine Reduktion des CO2-Ausstosses um über 95% bis 2033 im Rahmen des werkseigenen Projekts „SALCOS“ („Salzgitter LOW CO2 Steelmaking“). Die Transformation sei generell nur unter bestimmten Rahmenbedingungen einzelwirtschaftlich darstellbar, man müsse mit ca. 150 – 200 € Mehrkosten pro Tonne Stahl gegenüber dem heutigen „grauen“ Stahl rechnen. Diese müssten auch auf Marktakzeptanz stoßen. Wie schon Tobias Aldenhoff wies er in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit von Rahmenbedingungen wie den „Grünen Leitmärkten“, für Dr. Sebastian Bross ein staatlich geschaffener Markt für klimaneutral produzierte (Stahl-) Produkte (insbesondere zur Herstellung von höherer Zahlungsbereitschaft für Grünen Stahl), und dem Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) hin.
Die Dekarbonisierung von Stahl-Wertschöpfungsketten gehe nur gemeinsam mit den Partnern auf der Kundenseite, z.B. durch Abnahmeverpflichtungen unterschiedlicher Intensität, und auf der Beschaffungsseite (Anlagenbau, Rohstoffe, Grüne Energieversorgung). Gerade in seinem Zuständigkeitsbereich „Stahlhandel“ sei im Zuge der Transformation das Thema Logistik ein entscheidender Faktor. Im Rahmen der Transformation im Stahlhandel sieht Dr. Sebastian Bross die Beantwortung folgender Fragen durch die Logistik als wichtig: Wie gehen wir mit begrenzten Ressourcen um (Einsatz Schiene?), wie funktioniert die interne Logistik bei steigender Artikelvielfalt durch Grünen Stahl und wie minimiert man die Transportkosten?
Jonathan Weber, Vorstand Transformation, Saarstahl AG (SHS), stellte die Dekarbonisierung an der Saar durch eine vollständige Umgestaltung des Stahlunternehmens vor. Die „Dekarbonisierungs-Roadmap“ des Saarstahl-Projekts „Pure Steel+“ habe den Anspruch, zwei Unternehmen mit zwei Standorten und unterschiedlichen Produkten und Segmenten umzustellen. Dies bedinge eine besondere Komplexität. Investiert würden ca. 4 Mrd. € (1,4 Mrd. € Eigenmittel und 2,6 Mrd. € Förderung) in eine DRI (Direktreduktions-) Anlage und zwei Elektrolichtbogenöfen an den Standorten Dillingen und Völklingen. Für die Produktion von Grünem Stahl ist der Aufbau einer neuen Logistikkette notwendig, so Jonathan Weber. „Inbound“ werden sich die Transportbedarfe der verschiedenen Rohstoffe (Erze, Kohle, Schrott) substantiell verschieben mit Implikationen auf Transportrouten und Modal-Mix. Insgesamt würden die Rohstoffmengen abnehmen, es komme zu Verschiebungen zwischen den Rohstoffen (weniger Kohle und Erz, mehr Schrott) und zu einer höheren Flexibilität zwischen den Rohstoffen. Alles sei verbunden mit Auswirkungen auf Transportrouten und Modal-Mix. Es gelte auch, langfristige Transportverträge schon heute umzustellen. Die Sicherstellung der zukünftigen Schrottversorgung stelle eine große logistische Herausforderung dar, ergänzte Jonathan Weber. Ein fragmentierter, kleinteiliger Beschaffungsmarkt bei gleichzeitig stark wachsendem Schrottbedarf erfordere das Sourcing von einer Vielzahl an Partnern und die Etablierung neuer Logistikwege. Inner- und zwischenwerklich sei ein neues intra- und interwerks-Logistik-Modell erforderlich, um die komplexen Materialflüsse der neuen Produktionstechnologie abzubilden. Zudem sei für die Produktion von Grünstahl der Aufbau einer neuen, grünen Energieversorgung notwendig. Auch SHS sei im Ergebnis mit höheren Betriebskosten einerseits und einer bisher geringen Zahlungsbereitschaft für grüne Produkte andererseits konfrontiert.
In einem weiteren Talk diskutierten anschließend Ann-Kathrin Müller, Project Manager Sustainable Transformation, RHEINKRAFT INTERNATIONAL GmbH (RKI), Armin Rein, Geschäftsführender Gesellschafter Nikolaus Rein GmbH, Dr. Sebastian Bross und Jonathan Weber zur Transformation von Stahl und Standort und den Beiträgen der Logistik. Ann-Kathrin Müller hat keinesfalls Angst, allenfalls Respekt vor der Aufgabe „Transformation“. Auch Armin Rein geht das Thema mit Selbstvertrauen an. Er verwies aber auf das seines Erachtens in Deutschland falsche politische Vorgehen. Beide meinen, man gehe hier an der einen oder anderen Stelle zu schnell vor und es müsse auch berücksichtigt werden, wie diese Veränderungen im internationalen Standortwettbewerb zu überstehen sind. RKI hat bereits erste Investitionen in die Dekarbonisierung gemacht bzw. in der Umsetzung: 2 Elektro- und einen Wasserstoff-Lkw, Umrüstung der Betriebs-Tankstelle auch für den HVO-Einsatz. Depotlade-Kapazitäten für 2 Lkw. Angedacht ist auch eine eigene Erzeugungskapazität für Grünen Strom auf dem Betriebsgelände.
Armin Rein ist weiterhin vom Verbrenner-Lkw überzeugt und sieht den Einsatz von HVO 100, der allerdings zu Kostensteigerungen führt, als sinnvollen Schritt. Da die Kunden letztlich für den Einsatz alternativer Antriebe bislang zumeist nicht mehr zahlen wollten, könne er sich eine Transformation in Richtung Strom oder Wasserstoff beim Fuhrpark nicht leisten, so Armin Rein weiter. In Bezug auf die Transformation und die Rahmenbedingungen sei er maßlos enttäuscht von der Politik. Die notwendige energetische Versorgungsinfrastruktur sei weder da noch in absehbarer Zeit zu erwarten (Stichworte: Lademöglichkeiten, ausreichende Netze, Strom- und Wasserstoffmengen). Der CO2-Mautaufschlag aus 2023 habe enorme Kosteneffekte, Erleichterungen für z.B. HVO 100 fehlten und die Förderung der Anschaffung von Fahrzeugen sei gestrichen. Es gelte noch mehr als bisher gemeinsam aufzutreten, um „eine realitätsfremde Politik einzufangen“, so Armin Rein.
Auch Dr. Sebastian Bross bemängelt, dass in der (Transformations-) Politik weiter ohne Pragmatismus stur an Regelwerken festgehalten und nicht akzeptiert werde, dass andere Rahmenbedingungen auch Kostensteigerungen beinhalteten. Ginge es weiter so, dann „verstolpere“ man die Entwicklung. Der Stahl brauche die Logistik als Partner für die Transformation. Ann-Kathrin Müller wies auf die deutlich höheren Anschaffungskosten für alternativ angetriebene Lkw hin. Zudem seien die Stromkosten derzeit bei weitem nicht wettbewerbsfähig. Der Einsatz transformierter Betriebsmittel wie Lkw führe zu Mehrkosten, entscheidend sei in der Logistik wie beim Stahl, ob dann die Kundschaft für „grüne Logistik“ auch eine höhere Zahlungsbereitschaft entwickeln wird. Die diesbezügliche Lage erscheint derzeit noch eher durchwachsen, war den Wortmeldungen in der Diskussion zu entnehmen. Letztlich, so die Industrievertreter, müssten sich die Endkunden daran gewöhnen, für die Gesamtleistungen aus dem Stahlmarkt mehr zu zahlen.
Erörtert wurde auch das Transformations-Potential eines verstärkten Einsatzes der Schiene. Die beiden Logistiker sehen hier zwar nennenswerte theoretische Potentiale aber in der Praxis nicht zuletzt angesichts der vielen Probleme des Verkehrsträgers Schiene in ihren Tätigkeitsfeldern nur wenige Optionen. Die Industrievertreter hingegen sehen eine Transformation ohne die Schiene als nicht denkbar an. Dies gelte (weiterhin) insbesondere für Güterströme in großen Mengen, „inbound“ wie „outbound“.